Chemnitz steht definitiv im Schatten von Dresden oder Leipzig. Während Dresden als schön gilt, Leipzig hip ist, hatte die drittgrößte Stadt Sachsens Jahrzehntelang mit Abwanderung zu kämpfen. Bei Dresden denkt man an Semperoper, Frauenkirche oder Elbterrassen. Mit Leipzig verbindet man Gewandhaus, das Völkerschlachtdenkmal oder das Panometer.
Aber bei Chemnitz kommt mir spontan tatsächlich nichts in den Sinn, was sehenswert wäre. Und so bin ich auch ein wenig enttäuscht, dass die Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW) nicht wie angekündigt in Leipzig stattfindet, sondern still und heimlich nach Chemnitz verlegt wurde. Aber wie schon im vergangenen Jahr bei meinem Besuch in Budapest und Wien nutze Konferenzen immer dazu, neue Städte oder bekannte Städte neu zu entdecken.
Erste Eindrücke von Chemnitz
Bei der Ankunft am frühen Abend fallen vor allem drei Dinge auf:
- Chemnitz ist leer. Für eine Stadt mit etwa 245 000 Einwohnern sind die Straßen erschreckend verlassen. Beim Lesen des Beitrags «Sachsen: Chemnitz – schön geht anders» (Blog nicht mehr online) muss ich schmunzeln. Mit ihrer Aussage «Manch Auswärtiger könnte jetzt in Panik verfallen und sich fragen, ob ihm eine Unwetter- oder Seuchenwarnung durchgegangen ist. Ist aber nicht so – nur Chemnitz ist eben so. Während in anderen Innenstädten gerade noch die Hölle los ist, lässt sich in den Geschäften hier testen, wie es sich anfühlt, wenn man nachts im Kaufhaus eingesperrt wird und sämtliche Umkleiden für sich alleine hat.» hat Christin nicht unrecht.
- Chemnitz hat viel Platz. Verstärkt wird der Eindruck der Leere durch die viel zu breiten Straßen und die vielen leeren Flächen in der Stadt. Selbst im Zentrum und rund um den Rathausplatz fühlt man sich ein bisschen verloren.
- In den Chemnitzer Parkanlagen wird viel Alkohol konsumiert. Auf dem Weg zum Schlossberg fällt auf, dass Jugendliche (vielleicht auch aus Ermangelung anderer Möglichkeiten) in den Parks zusammensitzen und Hochprozentiges trinken.
Sehenswertes
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint, in Chemnitz gibt es einiges zu entdecken. Da mein Workshop an der Technischen Universität erst am Nachmittag startet, habe ich noch genügend Zeit, um die wichtigsten Stationen zu erkunden.
Schlossberg und Schlossteich
Am Schlossteich und der Schlosskirche kommt man in Chemnitz fast nicht vorbei. Es ist ein lauschiges Plätzchen, das zum Flanieren oder im Sommer auch zum Bootsfahren einlädt. Vom Schloss selbst ist nicht mehr viel zu sehen, die Schlosskirche als Teil des ehemaligen Benediktinerklosters hat auch nicht mehr ihr originales Aussehen. Am Fuße des Schlossberges steht mit dem Restaurant Kellerhaus ein Komplex aus Fachwerkhäusern mit gemütlichen Kellergewölben.
Theaterplatz und Opernhaus
Chemnitz kann auch Kultur. Für mich ist bereits die Aussicht auf Theaterplatz und Opernhaus beim Frühstück im Chemnitzer Hof ist bereits vielversprechend. Gerade eben sind die Filmnächte zu Ende gegangen und die neue Opern- und Konzertsaison der Theater Chemnitz wird mit einem Open-Air-Konzert am Theaterplatz eröffnet werden. Deshalb ist vom Platz und vom Opernhaus nur wenig zu sehen. Der Blick ist verstellt durch unzählige Pavillons und eine riesige Bühne.
Der «Nischel»
Neben den Plattenbauten ist es vor allem die 40 Tonnen schwere Plastik von Karl Marx, die an die DDR-Zeit erinnert. Immerhin war der Philosoph von 1953 bis 1990 Namenspatron von Karl-Marx-Stadt. Danach wollten im Zuge einer Abstimmung zwei Drittel der Bürger den alten Namen Chemnitz wieder zurück. Obwohl Karl Marx selbst nie in Chemnitz war, gilt das Monument heute als Wahrzeichen der Stadt.
Roter Turm und Neues und Altes Rathaus
Auf dem Weg vom Nischel Richtung Zentrum kommt man noch an der Stadthalle vorbei. Das markante Bauwerk vor dem Turm des Mercure-Hotels hat eine äußerst auffällige Fassade. Kontrast dazu bildet der Rote Turm, der wohl eines der ältesten Gebäude der Stadt ist. Im Rahmen einer Stadtführung habe ich übrigens später noch gelernt, dass er mit seiner Form Pate stand für das in der DDR bekannte Spülmittel «fit». Ansonsten findet man in der Innenstadt trotz Zerstörung im 2. Weltkrieg noch einige historische Gebäude, oder zumindest solche, die detailgetreu wieder aufgebaut wurden. Dazu zählen das Alte Rathaus mit seinem Glockspiel und das Neue Rathaus.
Daneben fallen in der Innenstadt die neu errichten Einkaufstempel mit ihren Glasfassaden auf. Und obwohl hier im Zentrum bereits eine bauliche Verdichtung stattgefunden hat, bleibt der Eindruck, dass es etwas leer ist.
Kaßberg
Eigentlich unspektakulär, weil es keine richtigen Sehenswürdigkeiten gibt, ist für mich dieses Wohnviertel die eigentliche Überraschung in Chemnitz. Ein Großteil der Häuser ist bereits restauriert und neben den Villen der Industriellen gibt es viele wunderschöne Wohnhäuser aus der Jugendstil- und Gründerzeit.
Bauhausarchitektur und Industriekultur
In Chemnitz gibt es mit der Villa Esche und dem Stadtbad einige Schmuckstücke im Bauhaus-Stil. Des Weiteren prägen auch heute noch zahlreiche Industriebauten aus den Zeiten der industriellen Revolution das Stadtbild. Auf der empfehlenswerten Stadtführung «Perlen der Industriekultur» kann man ausgewählte industriegeschichtlich bedeutsame Gebäude wie die Jugendherberge, die Markhalle, die Janssen-Fabrik und die ehemalige Haase-Fabrik in der Innenstadt bestaunen. Außerdem ist da noch das Industriemuseum, ein tolles Gebäude, in dem die Industriegeschichte der Region dargestellt wird.
Leider hatte ich in Chemnitz keine Kamera mit dabei. Die Bilder sind allesamt mit meinem iPhone entstanden.
Und was hat die Stadt sonst noch zu bieten?
Chemnitz ist sportlich. Angeblich treibt ein großer Teil der Bevölkerung regelmäßig Sport. Auf alle Fälle gibt es einige bekannte Sportlerinnen und Sportler, die in der Stadt groß geworden sind oder hier leben: Katarina Witt, Michael Ballak, Aljona Savchenko und Robin Szolkowy, Lars Riedel und Matthias Steiner. Auch der Schaupieler Matthias Schweighöfer stammt aus Chemnitz.
Nie und nimmer wäre ich übrigens auf die Idee gekommen, dass der Unterwäsche-Hersteller bruno banani seinen Firmensitz in Dresden hat. Der Fabriksladen befindet sich in der Janssen-Fabrik.
Ist die Stadt tagsüber schon ziemlich leblos, so ist sie nach 22:00 Uhr so gut wie ausgestorben. Wo andernorts am Abend das Leben erwacht, trifft man in Chemnitz keine Menschenseele an. Bis dahin kann man sich zumindest in den Restaurants und den Kellern oder Brauhäusern die Zeit vertreiben. Fleischloses Essen ist in Sachsen noch nicht so richtig angekommen, die Auswahl ist gering. An der Tagung Bildungsräume 2017 gibt es für Vegetarier gar nur Suppe.
Gemütliche Bars sind Fehlanzeige. Hier werden nachts die Bürgersteige hochgeklappt. Nicht einmal in der Hotelbar ist dann noch jemand anzutreffen. Und wenngleich der erste Eindruck wichtig ist, zählt dann doch der zweite. Und ich finde, man sollte der Stadt der Moderne eine Chance geben. Ich habe mich in Chemnitz ausgesprochen wohl gefühlt und viele schöne Plätze entdeckt. Ich hoffe, dass die Stadt sich in den nächsten Jahren noch entwickeln wird. Potenzial dazu wäre auf alle Fälle vorhanden.
Für mich geht es aber nächste Woche gleich weiter nach Freiburg und wenn möglich, möchte ich demnächst jemanden, den ich auf der Reise durch Kirgistan kennengelernt habe in Köln besuchen.
Durch die Krawalle und die Demonstrationen Rechtsradikaler im August 2018 hat die Stadt bei mir leider ziemlich viel an Sympathiepunkten eingebüßt.
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Hallo, schöner Beitrag.
Mein Foto aus Karl-Marx-Stadt
https://www.my-stories.eu/galerie/teil2-kunst-in-der-ddr
Schöne Grüße aus dem Schwarzwald Jens.