Kategorien Rundreisen

Olympos auf Karpathos: Zeitreise in ein Dorf lebendiger Traditionen

4 Kommentare
Pinterest Hidden Image

Kurven, Engstellen, Felsbrocken und Ziegen auf der Straße, ein Stück weggebrochene Fahrbahn und kaputte Leitplanken, all das gehört auch heute noch zur Fahrt in den Norden von Karpathos. Das gibt einen winzigen Eindruck davon, wie abenteuerlich die Anreise nach Olympos früher gewesen sein musste. Seit 2012 ist die 20 Kilometer lange Strecke zwischen Spoa und Olympos immerhin asphaltiert.

Die holprige Staubpiste mit vielen Schlaglöchern, die es davor gab, hatte den Namen Straße nicht verdient. Für die Einwohnerinnen und Einwohner von Olympos und Diafani war sie jedoch die langersehnte Verbindung in den Inselsüden. Bis Ende der 1970er-Jahre mussten sie den Weg nach Pigadia entweder per Boot oder auf alten Saumpfaden durchs Gebirge zurücklegen.

Nach der Fahrt durch die felsige Einöde ist der erste Blick auf das Dorf überwältigend. Und egal, von welcher Seite ich Olympos betrachte oder fotografiere, ich bin begeistert.

Die Zeit ist auch in Olympos nicht stehengeblieben. Dennoch gleicht ein Besuch einer Reise in eine andere Zeit. Verbringe mit mir zwei Oktobernächte im abgeschiedenen Bergdorf und erhalte einen kleinen Eindruck vom Alltag im Norden der unwegsamen Dodekanes-Insel.

Olympos zwischen Tradition und Moderne

Die Olymbiten sind Nachfahren der Dorer. Diese mussten ihre Siedlungen am Meer wegen wiederkehrenden Überfällen von Piraten aufgeben. Schutz fanden sie in den Bergen. Das Dorf Olympos entstand an einer Stelle, die vom Meer aus nicht sichtbar war. Dicht an dicht drängen sich die Häuser an der vom Meer abgewandten Seite einer Bergkuppe, in- und übereinander geschachtelte weiße oder pastellfarbene Würfel. Am höchsten Punkt thronen die Dorfkirche mit ihrem Glockenturm und mehrere meist verfallene Windmühlen.

Bis 1980 gab es nicht nur keine Straße, Olympos musste auch ohne Strom und Telefon auskommen. Durch die isolierte Lage blieben Dialekt, Handwerk, Sitten, Traditionen und Bräuche erhalten, wenngleich sich das Leben im Dorf grundlegend verändert hat. Nach Jahrzehnten der Abwanderung in alle Welt hat sich der Tourismus als wichtiger Erwerbszweig etabliert und für einen bescheidenen Wohlstand gesorgt. Auf der anderen Seite hat die Landwirtschaft an Bedeutung verloren. Viele der ehemals intensiv bewirtschafteten Felder rund um das Dorf liegen brach.

Olympos wirkt heute ein bisschen wie ein Freilichtmuseum, ein Museumsdorf, das während der Sommermonate Tag für Tag Scharen von Touristen anzieht. Dann kann es am Parkplatz vor dem Ortseingang und in der Hauptgasse schon einmal ziemlich eng werden. Man hat sich mittlerweile auf die Touristenströme eingestellt. Natürlich leidet die Authentizität des Dorfes unter den Besuchermassen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Tradition und Moderne.

Ich komme fast ein wenig außer Atem, als ich versuche mit Vasilis Schritt zu halten. Zielstrebig steuert er auf den höchsten Punkt des Ortes zu, grüßt Bekannte, gibt Erläuterungen und Tipps und stellt Familienmitglieder vor. Verglichen mit Arkasa, Finiki und Lefkes geht es hier richtig geschäftig zu und her. Für einen Moment ist mir fast zu viel los. Das wird sich am Abend ändern. Dann nämlich werde ich wohl die Einzige sein, die um diese Jahreszeit hier übernachtet. Sobald die Tagestouristen weg sind, kehrt Ruhe ein. Die Läden und Restaurants schließen und die Bewohner sind wieder unter sich, so wie früher.

Überall im Dorf siehst du Frauen in Tracht. Die traditionelle Tracht wird auch heute noch ganz selbstverständlich im Alltag getragen. Sie besteht aus einem weißen Gewand mit handbestickten Borten am Kragen, an den Ärmeln und am Rocksaum. Darüber tragen die Frauen einen dunklen ebenso bestickten Mantel und eine Schürze mit Blumen. Schwarze blumenverzierte Kopftücher und hohe Stiefel aus braunem Ziegenleder, die Stivania, vervollständigen die Tracht. Sie gehört zur Aussteuer. Angeblich sind es die Frauen, die Eigentum und Namen vererben.

In zahlreichen Reportagen ist zu lesen, dass in Olympos die Frauen das Sagen haben. Das ist im matriarchalisch geprägten Griechenland schon eine Besonderheit. Wie weit das tatsächlich zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Unübersehbar ist, dass die Frauen im Dorf sehr präsent sind, sie führen Tavernen und Souvenirläden. Sie sind es, die mit den Fremden kommunizieren und verhandeln. Es kann durchaus sein, dass sie eine besondere Rolle einnehmen, Namen, Besitz und Traditionen weitergeben und auch heute noch für das ökonomische Auskommen der Familie sorgen. Schließlich mussten sie das im Laufe der Geschichte ständig tun.

Auf den Speisekarten der Restaurants stehen die typischen Makarounes, handgemachte Teigwaren mit viel Olivenöl, dunkelbraun gerösteten Zwiebeln und geriebenem Ziegenkäse. Das deftige Gericht besticht durch seine Einfachheit. Immer wieder siehst du im Dorf, wie die Nudeln an der Sonne trocknen. Die besten Makarounes soll es in der Taverna Milos geben. Testen kann ich das nicht. Mitte Oktober hat man längst alle Tische und Stühle verräumt. Aber natürlich gönne ich mir eine Portion deftige Makarounes und gefüllte Zucchiniblüten in einer Taverne am Hauptplatz.

In den Geschäften entlang der «Shoppingmeile» gibt es das übliche Sammelsurium aus Textilien, Seifen, Dekorationsgegenständen oder Kräutern. Es wäre blauäugig zu glauben, dass das, was hier verkauft wird aus dem Dorf stammt. Mit etwas Glück kommt es aus Karpathos oder überhaupt aus Griechenland. Mittendrin liegt die Schuhmacherwerkstatt von Jannis Prearis. Jannis ist der Bruder meines Vermieters. Beide sind fest verwurzelt im Dorf und als Musiker bekannt, spielen Laouto und Lyra. Jannis moderiert außerdem im Internet Radio «Olympos 100.2 fm», der 1988 gegründeten lokalen Radiostation.

Als Schuhmachermeister führt er die Tradition seines Urgroßvaters, Großvaters und Vaters fort. Mittlerweile ist Jannis der letzte seiner Art im Dorf. In mühsamer Handarbeit und mit alten Werkzeugen fertigt er die Stivania, die typischen Stiefel. Es handelt sich um Unikate, in denen viele Arbeitsstunden stecken und die zurecht mehrere Hundert Euro kosten. Das alleine reicht nicht zum Leben, die Nachfrage ist zu gering. Im angeschlossenen Souvenirladen verkauft seine Schwester andere handgefertigte Lederwaren wie Sandalen, Taschen oder Gürtel.

Ziel der meisten Besucherinnen und Besucher ist der Kirchplatz mit seinen wunderschönen Gebäuden und dem Heimatmuseum. Die imposante Pfarrkirche aus dem 15. Jahrhundert in einem für den Dodekanes typischen Stil darf bei keinem Besuch fehlen. Im Inneren erwartet dich eine prächtige Ikonostase.

Im Gegensatz zu den Tagestouristen habe ich ausreichend Zeit das Dorf zu erkunden und durch die Gassen zu streifen. Es ist ein Auf und Ab über steile Treppen und durch enge Gassen. Beim genaueren Hinsehen fällt auf, dass Olympos abseits der Touristenpfade nicht nur farbig und herausgeputzt ist. Viele Häuser sind verlassen. Ihre Besitzer leben im Ausland und kehren nur noch selten in die alte Heimat zurück. Andere Gebäude – wie auch die Windmühlen – verfallen vor sich hin. Aber ich höre auch das Werkeln und Hämmern aus Häusern, die renoviert werden.

Auf dem Weg von «meiner Windmühle» ins Ortszentrum komme ich an einem alten Backofen vorbei. Kaum zu glauben, dass hier die karpathiotischen Frauen noch Brot backen. Es gibt mehrere solcher Öfen, die über das ganze Dorf verteilt sind und von den Familien gemeinsam genutzt werden.

Die alte Bäckerei hält übrigens einige Köstlichkeiten für dich bereit. Ansonsten ist Selbstversorgung in Olympos gar nicht so einfach. Der Mini-Market in der Hauptgasse hat seinen Namen wirklich verdient. Er ist so mini, dass man sich kaum umdrehen kann, ohne etwas umzustoßen. «Too small to swing a cat in», wie der Engländer sagen würde. Entsprechend minimalistisch ist das Angebot. Ein paar Milchprodukte, Eier, das Nötigste an Obst und Gemüse und vor allem haltbare Ware wie Pasta oder Kekse. Bei meinem Besuch am Nachmittag ergattere ich noch ein Joghurt, zwei Bananen und eine Paprika. Der nächste etwas größere Supermarkt liegt in Diafani.

Wenn du so wie ich im Oktober nach Olympos kommst, solltest du bedenken, dass die meisten Restaurants am späten Nachmittag schließen. Gerade einmal zwei Tavernen haben am Abend noch geöffnet.

Liogerma– Windmühle [Affiliate Link, Werbung]

Ich könnte mich in meiner kleinen Unterkunft sogar selbst versorgen. Die alte Windmühle wurde liebevoll restauriert und in ein kleines Feriendomizil umgewandelt. Den Wohnraum dominiert ein Soufa, das traditionelle Hochbett. In den winzigen Anbauten sind eine kleine, aber funktionale Küche und ein modernes Badezimmer untergebracht. Vasilis Prearis wohnt unweit der Windmühle und gibt sein Bestes, damit sich die Gäste wohlfühlen. Der Kühlschrank ist mit dem Wichtigsten gefüllt, am Tisch stehen Sesamkringel und eine Flasche Wein. Vasilis lässt mir außerdem Köstlichkeiten aus der Bäckerei bringen und verwöhnt mich mit frischen Feigen.

Vor und hinter dem «Haus» liegen zwei riesige Terrassen. Auf der einen Seite genießt du den Blick in die Berge, auf der anderen die Aussicht aufs Meer und den Sonnenuntergang. Der Ausblick erinnert mich ein wenig an Oia auf Santorin. Hier muss ich den Moment, an dem die Sonne im Meer versinkt, aber nicht mit Abertausenden von Touristen teilen.

Wanderung von Avlos nach Vroukounta

Im gebirgigen Norden von Karpathos lässt es sich wunderbar wandern. Ich entscheide mich für die kurze Wanderung von Avlona hinunter zur Bucht von Vroukounta. Die Tour ist etwa 7.5 Kilometer lang und es gilt etwa 320 Höhenmeter zu überwinden. Der Weg hinunter ist in etwas mehr als einer Stunde zu bewältigen, zurück geht es aufwärts. Das dauert erfahrungsgemäß etwas länger. Insgesamt bin ich knapp zweieinhalb Stunden unterwegs.

Bis nach Avlona, einer landwirtschaftlichen Außensiedlung von Olympos, fahre ich mit dem Auto. Avlona ist das nördlichste Dorf auf der Insel, das auf dem Straßenweg erreicht werden kann. Für alle, die noch weiter in den Norden wollen, geht es nur noch zu Fuß weiter. Oder du machst eine Bootstour von Diafani aus. Avlona ist nicht mehr durchgehend bewohnt, eher eine Sommersiedlung. Viele kommen nur noch hierher, um auf der Hochebene ihre Felder und Gärten zu bewirtschaften.

Nach dem Ortsrand zweigt der Weg ab und führt zwischen zwei Trockensteinmauern durch die Felder. Der Wegweiser liegt am Boden. Ansonsten ist der Weg leicht zu finden. Du folgst einfach dem alten Saumpfad. Um diese Jahres- und Tageszeit bin ich völlig allein auf weiter Flur. Schon bald tut sich der Blick auf die weitläufige Bucht auf. Links liegt die Kirche Agia Marina Vroukounta’s. Mein Ziel ist jedoch die Landzunge, auf der einst die antike Stadt Brykountos lag.

Hier gibt es noch einige Grabhöhlen und Grabkammern aus der Zeit der Dorer zu besichtigen. Auf der Spitze der Halbinsel mache ich einige Hütten und einen Unterstand mit Wellblechdach aus. Leider ist der Ort vermüllt und wirkt ziemlich heruntergekommen. Es sind die Überreste des Panigiri, des zweitägigen Festes zu Ehren des Heiligen Johannes des Täufers, das Ende August hier stattfindet. Ein Kreuz und ein kleiner Glockenturm weisen den Weg zur Höhlenkirche. Im unterirdischen Kirchenraum ist es feucht und kühl. Zu sehen gibt es eine Ikonostase aus weißem Marmor und eine Taufstein.

Zurück in Avlona solltest du dir in der Taverna Avlona eine kleine Stärkung, zum Beispiel den liebevoll zubereiteten Bauernsalat.

zwei alte Frauen in Tracht in einer Taverne in Olympos
Olympos

Carola ist eine passionierte Teilzeitnomadin, verbindet Vollzeitberuf mit Reiselust. Sie ist der Kopf hinter Travellingcarola.

Seit 2016 schreibt sie authentische Reiseberichte über einzigartige Erlebnisse, gibt praktische Tipps und will andere inspirieren, die Welt zu entdecken.

4 Gedanken zu „Olympos auf Karpathos: Zeitreise in ein Dorf lebendiger Traditionen“

  1. Ein toller Ort mit einer faszinierenden Geschichte. Vielen Dank für deine authentischen Einblicke. Verrückt, dass so etwas banales wie ein Supermarkt quasi sind Besonderheit darstellt. Da merkt man erstmal, dass die Uhren an manchen Orten einfach anders ticken.
    Viele Grüße, Julia und Basti

    Antworten
    • Liebe Julia, lieber Basti

      Ja, allerdings. Aber auf Inseln, auf denen viele – zumindest was Obst und Gemüse angeht – Selbstversorger sind, hat so ein Nahversorger eine andere Bedeutung.

      Viele Grüße
      Carola

      Antworten
  2. Liebe Carola, gerade selbst aus Griechenland zurückgekehrt und nicht wirklich mit dem deutschen Wetter klar kommend, hat dein Artikel natürlich richtig ins Gefühlszentrum gehauen. Man will sich direkt nach Olympos beamen… Auf Karpathos war ich (Gabi) allerdings noch nie und Michael zuletzt auf einer seiner ersten Backpackerreisen (also in den 1980ern :-). Sehr schön geschrieben und bebildert. Wie es da im Juli und August aussehen mag, ist natürlich die andere Frage. Aber egal. Oktober ist mittlerweile wirklich die idealste Reisezeit für Griechenland. Danke und liebe Grüße, Gabi und Michael von „Hierdadort“

    Antworten
    • Liebe Gabi

      Ich mag mir die Hochsaison im Dorf auch nicht vorstellen. Dafür kann ich mir vorstellen, dass es jetzt im Winter langsam ungemütlich, kalt und stürmisch wird. Und einsam muss es sein. Wir können bei dem nasskalten Wetter immerhin vom nächsten Griechenland-Aufenthalt träumen.

      Herzliche Grüsse
      Carola

      Antworten

Schreibe Einen Kommentar

© TRAVELLINGCAROLA

Your Mastodon Instance