Liverpool galt einst nach London als die wichtigste Stadt Großbritanniens. Hier fuhr die erste Eisenbahn. Und lange Zeit war der Hafen Liverpools einer der wichtigsten der Welt, hatte sogar die ersten Docks. Millionen von Auswanderern bestiegen in der Stadt am Mersey Schiffe in die Neue Welt. Auch mit dem einst längsten Unterwasser-Tunnel konnte die Stadt einst aufwarten. Die Stadt kann sich mit einer der größten Kathedralen schmücken. Und dann ist Liverpool natürlich die Heimat einer der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte, den Beatles. Das Herz der Fußballfans schlägt höher, wenn im Anfield, dem Heimstadion des FC Liverools, die Vereinshymne «You’ll Never Walk Alone» intoniert wird. Kurzum: Die Stadt ist ein Mythos.
Im Wandel der Zeit
Irgendwann hat die Industriestadt im Norden Englands den Strukturwandel verschlafen und war in den 1980er und 1990er Jahren sogar eine der ärmsten Großstädte Europas. Aber in all der Zeit hat Liverpool sich nicht unterkriegen lassen und sich wieder aufgerappelt. Der Titel als Kulturhauptstadt 2008 verschaffte ihr ein ordentliches Facelift. Heute ist die Stadt wieder angesagt und eine hippe Metropole.
Davon will ich mich selbst überzeugen. Liverpool liegt nur eine knappe Stunde Zugfahrt (Städtereisen mit dem Zug) von Manchester entfernt, wo ich einige Tage verbringe. Ein kleiner Abstecher während meines Aufenthalts bietet sich da regelrecht an. Ich bin gespannt auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Erste Impressionen
Städte am Wasser, insbesondere am Meer, üben auf mich immer eine ganz besondere Faszination aus. Ich liebe den Geruch des Meeres, den Wind in den Haaren, das Geschrei der Möwen und generell diese ganz besondere Weite und Aufgeschlossenheit in diesen Städten. So führt mich mein erster Weg nach Anfkunft am Bahnhof Limestreet auch Richtung Docks am Ufer des Mersey. Im ersten Moment wirkt Liverpool aufgeräumter, geordneter und moderner als Manchester.
Albert Docks, Liverpool Wheel und Waterfront
Da für den Nachmittag Regen vorhergesagt ist, möchte ich bis dahin möglichst viel sehen und die Stadt bei Sonnenschein genießen. Und so erkunde ich zuerst einmal die Gegend um Canning, Salthouse und Albert Docks. Es ist eine gelungene Mischung zwischen alt und neu, insbesondere die Hafengebäude und Lagerhallen wurden liebevoll renoviert. Sie erinnern ein wenig an die Speicherstadt in Hamburg. Alle, die mehr Zeit mitbringen als ich, können sich diese in den drei großen Mussen hier vertreiben, dem Tate Liverpool, dem Merseyside Maritime Museum und dem International Slavery Museum. Letzteres erinnert an die dunkle Vergangenheit der Stadt als Umschlagplatz für Sklaven. Wie auch in Manchester sind die meisten Museen gratis.
Eine liebgewonnene Gewohnheit beim Erstbesuch in Städten, ist mir zuerst einmal einen Überblick von oben zu verschaffen. Während andernorts in England (Brighton oder Manchester) die traditionellen Riesenräder abgebaut wurden, steht das Liverpool Wheel noch. Für nicht ganz günstige 10.- € bekommt man vier Umdrehungen in geschlossenen Seilbahngondeln. Unbezahlbar ist die Aussicht auf Stadt und Mersey aus knapp 60 Metern Höhe.
Rund um die Docks gibt es überall mehr oder weniger originelle Imbissbuden, Cafés und Restaurants. Neben langweiligen 0815-Ketten wie Costa findet man auch Traditionelles wie Fish and Chips.
Beim Spaziergang entlang des Merseys kommt mir unweigerlich der Song von Gerry and the Pacemakers «Ferry Cross the Mersey» in den Sinn. Mit Katastrophe im Stadion von Hillsborough (96 Tote) 1989 erhielt das Lied in der Coverversion von The Christians, Holly Johnson, Paul McCartney, Gerry Marsden und Stock Aitken Waterman nochmals traurige Berühmtheit. Die Erlöse gingen an die Hinterbliebenen der Opfer.
Pier Head und Schiffstour auf dem Mersey
Der Albert Dock geht nahtlos in den Pier Head über. Hier stehen die sogenannten Three Graces oder drei Grazien. Die architektonisch erwähnenswerten Gebäude zeugen von einer Zeit, in der Liverpool die wichtigste Hafenstadt Englands war. Das Royal Liver Building, der ehemalige Hauptsitz der Cunard Line (Titanic) und das Port of Liverpool Building beeindrucken aber auch heute noch.
Seit 2015 steht hier zudem die Statue der wohl berühmtesten Söhne der Stadt. Die etwas überlebensgroßen Figuren sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und selbstredend ein beliebter Anziehungspunkt für Touristen und permanent belagertes Fotomotiv.
Am Fährterminal Pier Head löse ich mein Ticket für die knapp einstündige Rundfahrt auf dem Mersey und genieße die Zeit auf dem Wasser. Man sieht fast bis zur Mündung und kommt an verschiedenen Entlüftungsgebäuden der Tunnel unter dem Mersey vorbei. Während der Fahrt ziehen die prophezeiten Wolken auf und zaubern eine mystische Stimmung.
Auf den Spuren der Beatles
Mit dem Wetterumschwung zieht es mich in die Beatles Story. Ausgerüstet mit einem Audoguide erfahre ich mehr über die Stationen der Fab Four. Ich kenne die Lieder der Beatles, würde mich aber nicht als eingefleischten Fan bezeichnen, hatten die Pilzköpfe ihre größten Erfolge doch in einer Zeit, in der ich noch nicht auf der Welt war. Das Museum ist ganz nett gemacht und ich bin mitten drin in der Geschichte von der Gründung der ersten Band durch John Lennon bis zur Trennung. Neben einer Nachbildung des alten Cavern Clubs, wo die Beatles ihre ersten Erfolge feierten, sind auch John Lennons Klavier sowie Gitarre und Schlagzeug von George Harrison und Ringo Starr ausgestellt.
Gerne hätte ich der Penny Lane oder Strawberry Fields im Nachgang noch einen Besuch abgestattet, dafür fehlt mir aber leider die Zeit.
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Flanieren und Shopping
Immerhin schaffe ich es noch in die Mathew Street. Sie ist eine der bekanntesten Adressen in der Stadt, wenn es um Ausgehen, Essen, Trinken und Flanieren geht. Hier ist auch der Standort des legendären Cavern Club. Andere Clubs tragen Namen wie Sergant Peppers und eigentlich dreht sich alles um die Beatles und ihre Musik.
Die verbleibende Zeit verbringe ich im Liverpool One, einem Einkaufszentrum oder besser gesagt Galerien, die sich über mehrere Straßenzüge erstrecken. Zwar spürt man hier hautnah, wie die Stadt sich verändert, gleichzeitig könnte Liverpool One überall stehen, gesichtlos und austauschbar. Schade, hat man da nicht mehr oder anderes daraus gemacht.
Da bevorzuge Church und Elliot Street, wo Staßenkünster auftreten und das wahre Leben herrscht.
Liverpool oder Manchester
Liverpool bietet Waterfront, Docks, Flaniermeilen, Museen, Galerien, quirlige Straßen, Einkaufsmeilen und einen Mix aus ehemaligen Industriebauten und moderner Architektur. Es ist eine Stadt mit vielen Facetten. Man spürt die Aufbruchsstimmung und ich liebe die Lage am Wasser. Weniger begeistert hat mich die Gentrifizierung im Zentrum. Da erscheint mir Manchester doch wesentlich authentischer und irgendwie ehrlicher. Um hier wirklich ein verlässliches Urteil abgeben zu können, müsste ich aber in beiden Städten mehr Zeit verbringen.
Beobachtungen
Egal ob nun in Manchester oder Liverpool, die Engländer scheinen ein komplett anderes Kälteempfinden als wir Mitteleuropäer zu haben. Dass junge Mädchen abends auch im Winter ohne Jacke und schulterfrei durch die Gegend spazieren, ist ja nichts Neues. Aber während ich bei sieben bis acht Grad und viel Wind und teilweise Regen mit einer dünnen Daunenjacke unterwegs bin, verzichten die Einheimischen bei den ersten Sonnenstrahlen bereits auf Strumpfhose und Jacke. Man sitzt und isst im Freien, egal ob Kleinkind oder Greis. Zudem stöckelt oder stelzt die Engländerin immer und überall mit zu hohen und unbequemen Schuhen durch die Gegend. Mit meinen Sneakers falle ich da direkt auf. Dafür komme ich aber auch problemlos und in angemessener Zeit ans Ziel.
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