Mehr als 250 Kilometer markierte Wanderwege führen durch die Valposchiavo. Unzählige Routen warten darauf entdeckt zu werden. Beim Wandern im Puschlav ist sowohl für Gipfelstürmer als auch für Spaziergänger das Richtige mit dabei – sei es der schneebedeckte 3’905 Meter hohe Piz Palü oder der gemütliche Weg rund um den Lago di Poschiavo. Von Mai bis Oktober ist Wandersaison. Mit etwas Glück lassen sich sogar im Spätherbst und Winter schöne Touren unternehmen.
Vom Berninapass über Sassal Mason und die Alp Grüm nach Cavaglia
Anreise
Am Beginn der Wanderung steht die Anreise zum Ospizio Bernina auf der Passhöhe. Auch wenn ein Postbus über die Passstraße verkehrt, empfehle ich dir die Fahrt mit der Rhätischen Bahn. Zum einen ist das wunderbar gemütlich und nostalgisch, zum anderen erlebst du das UNESCO Welterbe hautnah. Die Bahnlinie über den Berninapass ist eine technische Meisterleistung aus der Pionierzeit der Eisenbahn. Und du kommst damit an Orte, wie die Alp Grüm, die du mit dem Auto gar nicht erreichen würdest.
Die Fahrt auf den Regionalzügen der Rhätischen Bahn und auf den regulären Postautokursen (ohne Rufbus) ist mit der Valposchiavo All Inclusive Guest Card übrigens gratis, was beim Wandern im Puschlav sehr praktisch ist. Die Gästekarte gibt es ab zwei Hotelübernachtungen in der Valposchiavo.
Etwa eine Dreiviertelstunde benötigt der Zug von Poschiavo bis zur Passhöhe. Dabei windet er sich gemächlich in Serpentinen und durch Kehrtunnel den Berg hoch und überwindet mehr als 1’200 Höhenmeter. Immer wieder hast du eine grandiose Aussicht auf das Tal mit Poschiavo, später auf den Lagh da Palü, den Palügletscher, den Lago Bianco und die Bergwelt des Berninamassivs. Durch die Kehrtunnel wechselt der Zug mehrmals die Richtung und es offenbaren sich immer neue Ausblicke. Das ist anfangs etwas verwirrend. Mich erinnert es unweigerlich an die Fahrt auf der Albula-Linie zwischen Preda und Bergün.
Das Ospizio Bernina auf 2’253 m ü. M. ist der höchste Punkt des RhB-Streckennetzes. Du befindest dich hier am höchsten Bahn-Alpenpass Europas, der noch dazu ganzjährig befahren wird. Der höchste Bahnhof der Schweiz und Europas am Jungfraujoch, liegt sogar auf 2’328 m ü. M., allerdings verläuft dort die gesamte Strecke durch einen Tunnel und die Bahnstation liegt komplett unterirdisch.
Wanderung
Hier am Bahnhof startet die Wanderung, die mehrheitlich bergab führt. Du musst also nicht besonders fit sein, Trittsicherheit ist dennoch gefragt. Der Weg führt zuerst entlang der Bahngleise und des Lago Bianco.
Den ersten Teil der Strecke teilt man sich den breiten Wanderweg mit Mountainbikern. Mit gegenseitiger Rücksicht ist das gut machbar, an schönen Sommertagen ist hier jedoch bestimmt einiges los. An der Weggabelung an der Staumauer entscheide ich mich für den Aufstieg zum Sassal Mason. Hier kommt erstmals die Sonne raus und die Warnpfiffe der Murmeltiere begleiten meine Schritte.
Die gemütliche Alphütte Sassal Mason ist vorerst Geschichte, das Restaurant steht zum Verkauf. Für eine kurze Pause eignet sich die Terrasse dennoch perfekt. Von hier aus hast du die unvergleichliche Aussicht auf den Palü-Gletscher und den herzförmigen Gletschersee Lagh da Palü. Bei schönem Wetter reicht der Blick tief hinein in die Valposchiavo bis hin zu den die Bergamasker Alpen.
Mich begeistern vor allem die Crot. Die kleinen runden, kuppelförmigen Steingebäude sind typisch für die Valposchiavo und das Veltlin. Im Inneren bleibt es sogar bei sommerlichen Temperaturen kühl und feucht, wodurch sich die Crot hervorragend zum Lagern von Lebensmitteln eigneten und nach wie vor eignen. Sie waren sozusagen früher die Kühlschränke im Puschlav.
Von Sassal Mason aus geht es nur noch bergab, anfangs auf einem steilen und schmalen Pfad, später auf einem breiteren Wanderweg. Leider ist bei meinem Besuch die Abzweigung zum Lagh da Palü gesperrt, sodass ich auf den Abstecher verzichte und direkt zur Alp Grüm weiterwandere. Von dort aus ist es nochmals eine gute Stunde hinunter bis Cavaglia.
Auf der Alp Grüm kannst du allenfalls wieder in den Zug steigen und eine Station weiter fahren. Mit der Valposchiavo All Inclusive Guest Card hat die Rhätische Bahn ein bisschen den Charakter eines Hop-On Hop-Off-Busses. Da es nur eine Verbindung pro Stunde gibt, ist gute Planung nötig. Dennoch kannst du so immer wieder Strecken abkürzen.
Cavaglia liegt auf einer weiten Ebene, die von der Cavagliasch durchflossen wird. Die Cavagliasch bildet hier viele kleine Seitenarme, ist Outdoorspielplatz und ein beliebter Rastplatz. Bei der Gletscherwelle Motti da Cavagliola liegt der Gletschergarten mit den eindrücklichen Gletschertöpfen. Hier kannst du die Gletschermühlen («Töpfe der Riesen») oder Marmittas bewundern. Über viele Jahrtausende hinweg haben Gletscherwasser, Kies und Schutt riesige, teilweise 15 Meter tiefe Löcher, in den Felsen hinterlassen. Die Gletschertöpfe sind unterschiedlich groß und tief, aber alle vom Wasser glatt geschliffen. Der Eintritt in den Gletschergarten ist mit der Gästekarte gratis, Spenden sind willkommen. Im Juli 2021 wurde der neue Schluchtenweg eröffnet, er macht die Naturschönheiten nochmals besser zugänglich.
Normalerweise würde ich von hier aus weiterwandern, hinunter bis nach Poschiavo. Da ich unbedingt heute noch auf die Alpe San Romerio möchte, muss ich aus Zeitgründen die letzte Strecke mit der Bahn zurücklegen.
Val da Camp und Lago di Saoseo
Die Val da Camp zählt zu den schönsten Nebentälern im Puschlav, gut versteckt zwischen dem Berninapass und Poschiavo. Das ruhige Bergtal und Naturschutzgebiet hält ein paar Naturwunder bereit. Der Lago di Saoseo ist so ein Juwel. Er gilt zurecht als einer der schönsten Bergseen der Schweiz oder im gesamten Alpenraum. Und damit zählt diese Route zu den beliebtesten und eindrücklichsten Wanderungen im Puschlav.
Bei Sfazù, etwa auf halbem Weg zwischen der Passhöhe und Poschiavo, liegen links und rechts der Straße ein Restaurant, ein Hotel und der bewirtschaftete Parkplatz. Hier zweigt die Naturstraße in das idyllische Seitental ab. Dort herrscht jedoch Fahrverbot, ausgenommen sind nur Anrainer und der PostAuto-Kleinbus.
Das Praktische an dieser Rundwanderung ist, dass sie sich abkürzen lässt, indem man Hin- und/oder Rückweg bis zur Alpe Campo beziehungsweise zur Haltestelle Lungacqua beim Refugio Saoseo mit eben diesem Postauto zurücklegt. Zusätzlich ist vom Lago di Saoseo zum Lago di Viola eine weitere Abkürzung auf direktem Weg zum Lagh da Scispadus möglich. Sportliche Wanderinnen und Wanderer können die Tour bis zum Pass da Val Viola ausdehnen und noch ein paar zusätzliche Höhenmeter sammeln.
Anreise mit dem Postauto
Falls du dich für eine Fahrt mit dem Kleinbus entscheidest (Kosten 2021: CHF 12.-), ist es wichtig, dass du deinen Platz im Voraus reservierst. Es besteht sogar Reservationspflicht. Ohne vorherigen Anruf unter +4181 844 10 42 (Montag–Freitag 08:00–12:00 und 13:00–17:00 Uhr) hast du keine Garantie, dass du tatsächlich mitgenommen wirst. Obwohl die Reservierung bis eine Stunde vor Abfahrt möglich ist, empfehle ich dir, die gewünschte Fahrt frühzeitig anzumelden. Gerade während der Ferienzeit im Sommer und an den Wochenenden ist die Val da Camp ein beliebtes Ausflugsziel und die wenigen Plätze im Kleinbus sind schnell weg. Die aktuellen Fahrpläne und weitere Informationen findest du auf der Seite von PostAuto.
Die meisten Besucherinnen und Besucher machen die Rundwanderung getreu dem Motto «Das Beste kommt zum Schluss» im Uhrzeigersinn und steuern nach der Alpe Campo zunächst den Lago di Val Viola und erst zum Schluss den Lago di Saoseo an. Ich bin früh dran und mache mich deshalb gleich auf zum Lago di Saoseo, den ich so fast für mich alleine habe. Der See liegt eingebettet zwischen Lärchen- und Arvenwäldern. Es dauert ein wenig, bis man das Wasser durch die Bäume durchschimmern sieht. Erst direkt am Ufer offenbart sich der unverstellte Blick auf den Bergsee.
Wie nicht anders zu erwarten, ist der Lago di Saoseo ein richtiges Schmuckstück. Dass er oft als der schönste Bergsee der Schweiz oder der Alpen bezeichnet wird, kommt nicht von ungefähr. Es gibt Bilder, auf denen das Wasser kobaltblau schimmert. Jetzt in der Morgensonne erscheint der See eher türkisgrün. Am Ufer stehend, wirkt das Wasser glasklar. Ohne Mühe kann ich jeden einzelnen Stein und die versunkenen Baumstämme erkennen. Das scheint fast unwirklich. Ich lasse mir Zeit und genieße Aussicht und Ruhe während einer kleinen Pause.
Danach geht es weiter bergauf zum zweiten Bergsee auf dieser Runde. Der Lagh da Val Viola ist ebenfalls eine Augenweide. Er ist größer als der Lago di Saoseo und auf der Ebene, wo die Val Viola in den See fließt sehr gut zugänglich. Witziges Detail: Über einen kleinen Damm kannst du zur Insel im See wandern.
Mittlerweile ist es ziemlich voll hier. Sobald die beiden PostAutos, die heute wegen des Andrangs sogar im Doppelpack verkehren, neue Gäste ausspucken, kommen diese scharenweise an den See. Auf dem Rückweg passiere ich noch den winzigen Lagh da Scispadus und gönne mir eine Erfrischung auf der Terrasse des Ristoro Alpe Campo, bevor ich – diesmal über die Naturstraße – wieder hinunter nach Sfazù marschiere.
Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten gibt es ebenfalls im Val da Camp, in der SAC-Hütte Rifugio Saoseo, der Alpe Campo oder dem Rifugio Viola (auf italienischer Seite).
Die Lager oder Zimmer sind einfach und zweckdienlich ausgestattet. Das Essen ist bodenständig. Es gibt typische Spezialitäten aus der Valposchiavo wie Pizzocheri oder dem angrenzenden Italien. Die Auswahl ist nicht riesig, das erwartet auch niemand. Im Rifugio Viola gibt es tagaus, tagein immer nur ein- und dasselbe Gericht, nämlich Polenta. Das hat ihr den Namen «Polentahütte» eingebracht.
Weitere Wanderungen im Valposchiavo
Wenn du in der Valposchiavo wandern möchtest, empfehle ich dir die App Outdooractive. Dort findest du jede Menge weitere Wanderungen im Puschlav.
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Mehr ein Spaziergang als eine Wanderung, aber dennoch lohnenswert ist zum Beispiel die Route um den Lago di Poschiavo. Und wenn du die Gelegenheit dazu hast, empfehle ich dir eine Tour auf die Alpe San Romerio mit der exponierten Kirche.
Wandern in Graubünden
Carola ist eine passionierte Teilzeitnomadin, verbindet Vollzeitberuf mit Reiselust. Sie ist der Kopf hinter Travellingcarola.
Seit 2016 schreibt sie authentische Reiseberichte über einzigartige Erlebnisse, gibt praktische Tipps und will andere inspirieren, die Welt zu entdecken.