Selten hat mir ein Blogbeitrag so viel Mühe bereitet und mich so viel Überwindung gekostet wie dieser hier. Wer über Jerusalem schreibt, kommt nicht umhin, auf die Geschichte der Stadt und die komplizierten politischen Verhältnisse einzugehen. Aber wie kann man all diese Informationen in einen Artikel packen?
In allen Reiseblogs, die ich zu diesem Thema konsultiert habe (das waren nicht wenige), ist von dieser unglaublichen Faszination zu lesen. Unisono werden die Adjektive «beeindruckend, magisch oder atemberaubend» verwendet.
Für mich ist Jerusalem nur schwer zu ertragen.Im besten Fall lese ich von einer Irritation, die Jerusalem auslöst. Da fühlt es sich schon etwas seltsam an, wenn man selbst ganz andere Eindrücke und Gefühle mit der Stadt verbindet. Erstens bin ich genervt von den Touristenmassen und der Geschäftemacherei. Zweitens bin ich angewidert von den Blüten, die der religiöse Fanatismus hier treibt. Und drittens bleibt zwischen Fremdschämen und Beklemmung für mich jegliche Spiritualität auf der Strecke.
Aktuelle Informationen für den Besuch in in der Stadt findest du auf der Seite von iTravel Jerusalem.
Jerusalem und seine Schlüsselrolle im Nahost-Konflikt
Alle drei monotheistischen Weltreligionen sind hier verwurzelt. Die Stadt ist sowohl für Juden als auch Christen und Muslime von hoher religiöser Symbolkraft. Mit der Grabeskirche, der Klagemauer und dem Tempelberg beherbergt Ostjerusalem bedeutende Heiligtümer dieser drei Weltreligionen.
Für Muslime ist Jerusalem nach Mekka und Medina die drittwichtigste heilige Stätte. Ihrer Ansicht nach war der Tempelberg der Ausgangspunkt für die Himmelsreise des Propheten Mohammed. Dabei kommt Jerusalem selbst nicht ein einziges Mal im Koran vor. Heute stehen am Tempelberg der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee. Juden beanspruchen den Tempelberg ebenfalls für sich. Die Klagemauer, der heiligste Ort für die Juden, ist der übriggebliebene Rest des jüdischen Tempelbezirks. Christen verbinden mit der Stadt die Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Die Grabeskirche in der Altstadt ist Symbol dafür.
Kaum eine andere Stadt wurde so oft belagert, erobert und zerstört. Seit der Gründung des Staates Israel herrscht ein politisches Tauziehen um die Stadt. Die arabischen Staaten lehnten den UN-Teilungsplan für Palästina ab, was 1948 zum ersten Nahostkrieg führte. Die Vereinten Nationen hatten sich damals übrigens für eine internationale Verwaltung Jerusalems ausgesprochen. Obwohl Israel in diesem Krieg sein Territorium sogar vergrößern konnte, blieb Ostjerusalem einschließlich der Altstadt unter jordanischer Kontrolle. In dieser Zeit war den Juden der Zugang zur Klagemauer verboten. Im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Israel die Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen, die Golanhöhen und das Westjordanland mit der historischen Altstadt.
Seither erheben sowohl Irsaelis als auch Palästinenser Anspruch darauf, dass Jerusalem Hauptstadt des jeweiligen Landes bleibt oder wird. In Jerusalem befinden sich die Knesset, das israelische Parlament, der Sitz des Präsidenten und das Oberste Gericht. Die internationalen Botschaften und Konsulate anderer Staaten liegen jedoch in Tel Aviv. Dies wegen des ungeklärten Status der Stadt und weil die Vereinten Nationen bis heute Jerusalem als Hauptstadt nicht anerkennen. Deshalb führte die Verlegung der der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem im Mai 2018 zu vielen Diskussionen und Auschreitungen. De facto ist das nämlich die Anerkennung als Hauptstadt Israels.
Unterwegs in der Altstadt
Es ist ein Freitag Anfang November. Jerusalem ist gut besucht. Rund um die Altstadt bilden sich Kolonnen von Reisbussen, die Tausende von Tagesgästen ausspucken. Hinzu kommt, dass viele Muslime unterwegs sind zum Freitagsgebet.
Die Altstadt ist eigentlich winzig, gerade einmal 1 km² groß, und von einer Mauer umgeben. Die schmalen und verwinkelten Gassen und Sackgassen sind prädestiniert dafür, sich zu verlaufen. Leider sind die Gassen teilweise so voll, dass kaum ein Durchkommen ist. Die Händler tragen ihr Übriges zum Stau bei, indem sie fragwürdige Souvenirs für Pilger feilbieten und versuchen, Passanten in ihre Läden zu locken. Man kann es ihnen nicht verübeln.
Ich habe zwar keine Angst vor Menschenansammlungen. Doch hier kommt schon einmal kurz ein beklemmendes Gefühl auf. Was wäre wenn eine Panik ausbricht oder gar ein Anschlag passiert? Man hätte keine Chance zu entkommen.
Die Altstadt ist in das armenische, jüdische, muslimische und christliche Viertel unterteilt. Innerhalb der Viertel gibt es sogenannte Nachbarschaften. Es ist genau festgelegt, wer wo wohnt. Die Grenzen zwischen den Vierteln sind fließend. Oftmals liegen hier Märkte und somit Zonen, wo die Bewohner benachbarter Viertel sich begegnen. Mit der Klagemauer und der Grabeskirche befinden sich zwei der wichtigsten Sehenswürdigkeiten innerhalb der Altstadt.
Bobachtungen an der Klagemauer
Es gibt drei Eingänge zum Platz vor der Mauer. Alle sind mit Sicherheitsschleusen mit Metalldetektoren ausgerüstet, Taschen werden durchleuchtet oder durchsucht. Zur Zeit meines Besuchs ist noch nicht allzu viel los. Was an der Klagemauer erlaubt oder verboten ist, wird von den Haredim, den ultraorthodoxen Juden stark mitbestimmt. Deshalb dürfen Frauen und Männer nicht gemeinsam beten. Die Männer sind links, die Frauen rechts, dazwischen liegt eine Absperrung. Der Wunsch einen gemeinsamen Sektor einzurichten, wurde vor einigen Jahren abgelehnt. Der Besuch steht aber allen offen, egal ob gläubig oder nicht und welcher Religionsgemeinschaft man angehört. Sogar das Fotografieren ist erlaubt.
Vor der Mauer sind orthodoxe Juden mit schwarzem Mantel, Hut und Schläfenlocken ins Gebet vertieft. Andere Gläubige tragen Tefflin und Tallit. Dazwischen mischen sich Touristen. Eine Kippa ist für Männer Pflicht. Wer keine eigene hat, leiht eine aus Papier. Ich betrete den Teil für Frauen halte mich aber im Hintergrund.
Ich fühle mich inmitten dieser Unterwürfigkeit und Frömmigkeit nicht wohl.Genauso unwohl wird mir beim Beobachten einiger Touristinnen, die ohne Skrupel auf Stühle und Treppen klettern oder sich neben den Betenden aufbauen, nur um gute Fotos zu schießen. Das lässt leider jeglichen Respekt vermissen. Unweigerlich kommt in mir das Gefühl der Fremdscham hoch.
Eine beliebte Tradition ist es vor Betreten der Mauer einen Wunsch auf einen Gebetszettel zu schreiben und dann in eine Mauerritze zu stecken. Das sind so viele Wünsche, dass sie zweimal pro Jahr entfernt werden müssen. Da nach jüdischem Gesetz nichts verbrannt werden darf, worauf der Name Gottes steht, werden die Zettel ungelesen auf dem Ölberg in Jerusalem begraben. Ob je einer dieser Wünsche in Erfüllung gegangen ist?
Durch die Via Dolorosa …
Aufgewachsen im katholischen Oberösterreich habe ich die Leidensgeschichte Jesu oft gehört oder gelesen. Meine kindlichen Vorstellungen des Kreuzweges haben wenig zu tun mit der heutigen Via Dolorosa, die durch dicht bebautes Gebiet führt. Während die Klagemauer eine gewisse Würde ausstrahlt und Ehrfurcht auslöst, erlebt man hier wirklich absurde Szenen.
Der Verkauf von Andenken und Devotionalien wie Rosenkränzen oder Kreuzen scheint gut zu laufen und vor keiner Geschmacklosigkeit Halt zu machen. So gibt es tatsächlich einen Souvenirshop, der Dornenkronen verkauft. «Holy» dürfte der beliebteste Teil in Firmennamen sein.
In der Via Dolorosa sind viele betende und singende Pilgergruppen unterwegs. Da kann es auch schon einmal vorkommen, dass riesige Holzkreuze den Hügel hochgeschleppt werden. Man macht Halt an den einzelnen Kreuzwegstationen. Die fünfte Station ist besonders beliebt, sodass sich lange Schlangen bilden. Hier befindet sich der Stein, auf dem Jesus sich mit der Hand abgestützt und einen Handabdruck hinterlassen haben soll.
… zur Grabeskirche
An der Endstation des Kreuzweges steht heute die riesige Grabeskirche. Dabei handelt es sich nicht um eine einzige Kirche, sondern eigentlich um mehrere Kapellen. Es ist ein Labyrinth aus verschiedensten Stilrichtungen. Im Inneren sind die Griechisch-Orthodoxe, die Syrisch-Orthodoxe, die Armenisch-Apostholische, die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche, die Koptische und die Römisch-Katholische Kirche in Form von Kapellen vertreten.
Der Schlüssel zur Kirche jedoch ist in den Händen einer muslimischen Familie. Sind sich schon die einzelnen Relgionen in Jerusalem nicht einig, so streiten auch die sechs christlichen Konfessionen um die Nutzungsrechte der Grabeskirche. Änderungen in oder an der Kirche bedürfen der Zustimmung aller. Die Zuständigkeit für eine Leiter an der Außenfassade hat man wohl vergessen zu regeln. Und so ist die «unbewegliche Leiter» seit Jahrzehnten ein Symbol für die Gespaltenheit des Christentums.
In der Kirche selbst ist es bei meinem Besuch sehr voll, zu voll. Man kommt nur in Kolonnen und nicht einmal im Schritttempo voran. In der Kirche spielen sich surreale Szenen ab – irgendwo zwischen Trance und religiöser Ekstase. Viele Gläubige knieen vor dem Salbungsstein Jesu nieder, es wird gebetet und geweint.
Um das heilige Grab betreten zu können, braucht es viel Geduld. Schlange Stehen ist angesagt. Endlich am Ziel wird man nach ein paar Sekunden bereits wieder zum Gehen aufgefordert. Sogar die entzündeten Kerzen werden wieder gelöscht und and die nächsten Gläubigen weiterverkauft.
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Weitere Informationen 'Jerusalem als Beispiel für Intoleranz und Engstirnigkeit
Es klingt mit Sicherheit in den vorangehenden Zeilen schon durch: Ich habe ein Problem mit Religionen, mit Extremen und vor allem mit religiösem Fanatismus.
Ohne Glauben und Religion wäre die Welt friedlicher.Eigentlich bin ich der Überzeugung, dass eine Welt ohne Religion ein viel besserer Ort wäre. Denn statt Frieden zu stiften und Toleranz zu leben, wird sinnlose Haarspalterei betrieben, werden Frauen unterdrückt und Minderheiten tyrannisiert. In Jerusalem mit seiner bewegten Geschichte und den vielen Religionsgruppen auf engstem Raum wird mir diese Doppelmoral einmal mehr bewusst. Auch die Tatsache, dass und wie Religion die Politik bestimmt, gefällt mir ganz und gar nicht.
Irgendwie hält sich seit Ewigkeiten die Mär vom friedlichen Zusammenleben der Religionen und Kulturen Jerusalem. Man findet viel in Jerusalem, aber sicher kein friedliches Zusammenleben. Spannungen und Gewaltausbrüche sind an der Tagesordnung. Die christliche Minderheit spielt dabei kaum eine Rolle, der arabische-israelische Konflikt schwelt jedoch unvermindert weiter. Palästinenser im illegal von Israel annektierten Ostjerusalem leben in ständiger Angst, ihre Papiere zu verlieren. Sie haben kaum Rechte und werden diskriminiert. Die sich immer weiter ausbreitenden illegalen israelischen Siedlungen zerstören ihre Lebensgrundlage.
Dass Jerusalem mich nicht begeistern kann oder ich mich teilweise wie im falschen Film wähne, hat wohl auch mit den Umständen meines Besuchs zu tun. Die Zeit ist definitiv zu kurz. Zusammen mit einer kleinen Gruppe, die ich am Tag zuvor im Hotel in Tel Aviv kennengelernt habe, nehme ich spontan an einer geführten Tour teil. Es stresst mich, dass ich Jerusalem nicht in meinem eigenen Tempo erleben und erkunden kann.
Gegen Abend fahren wir von Jerusalem noch weiter ans Tote Meer. Nach etwa eineinhalb Jahren kann ich nach Jordanien und auch in Israel in diesem Salzsee «floaten».
Carola ist eine passionierte Teilzeitnomadin, verbindet Vollzeitberuf mit Reiselust. Sie ist der Kopf hinter Travellingcarola.
Seit 2016 schreibt sie authentische Reiseberichte über einzigartige Erlebnisse, gibt praktische Tipps und will andere inspirieren, die Welt zu entdecken.
Danke für Deinen überaus ehrlichen Bericht!
Zwei keine Gedichte für den Frieden!
JERUSALEM
Stadt mit langer Geschichte,
Jeden Tag im Rampenlichte;
Von drei Religionen verehrt,
Ist sie steter Unruheherd.
Für Moslem, Jude und Christ
Die Stadt heiliger Ort ist.
Dem gleichen Gott gilt ihr Gebet,
Ein Gott, der für die Liebe steht.
Da sollte doch hier auf Erden
Nun endlich Friede werden;
Christen, Muslime und Juden
Nicht länger sinnlos verbluten.
Der Tempelberg muss Stätte sein,
Wo Menschen kommen überein.
Felsendom und Klagemauer
Brauchen Frieden auf Dauer.
David’s und Jesus‘ Christus‘ Stadt,
Die Mohammed beherbergt hat;
Erwartet jetzt einfach Taten
Hin zur Hauptstadt zweier Staaten.
Israel und Palästina,
So weit entfernt und doch so nah;
Es ist nun wirklich an der Zeit,
Zu beenden Terror und Leid.
FRIEDEN UND FREIHEIT
Spielet lieber die Gitarre,
Als zu tragen eine Knarre.
Lasst die weißen Tauben fliegen,
Aggression und Hass besiegen.
Für die Zukunft des Planeten,
Weg mit den Atomraketen.
Ende der Waffenexporte,
Abrüstung an jedem Orte.
Die Menschen legen ab den Neid,
Die Religionen ihren Streit.
Fromme und Heiden sind vereint,
Uns’re Sonne für alle scheint.
Keiner ist des Anderen Knecht,
Für alle gilt das Menschenrecht.
Jeder kann glauben, was er will,
Frieden und Freiheit unser Ziel.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen