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Foroglio und das Val Bavona, Tal aus Stein und ohne Strom

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Es ist ein Ort wie aus dem Märchen: mit kleinen Steinhäusern und einem tosenden Wasserfall im Hintergrund. In Foroglio und im Val Bavona scheint die Zeit komplett stehengeblieben zu sein. Dieses Seitental des Valle Maggia ist eines der kargsten Täler im Tessin, steil und steinig. Eine weitere Besonderheit ist, dass hier keine Strommasten das Landschaftsbild stören. Im Kraftwerk Robiei wird zwar Strom aus Wasserkraft erzeugt, die meisten Dörfer im Val Bavona sind aber nicht an das Stromnetz angeschlossen.

In diesem Artikel möchte ich meine schönsten Momente im Val Bavona mit dir teilen. Vielleicht willst du einem der imposantesten Wasserfälle der Schweiz einen Besuch abstatten und dich einmal wie ein Hobbit fühlen. Lies hier, was dich auf der Wanderung nach Bignasco erwartet.

Val Bavona

Neben dem Verzascatal ist das Valle Maggia das wohl bekannteste der Tessiner Täler und erstreckt sich von Locarno am Lago Maggiore gut 50 Kilometer Richtung Norden. Bei Bignasco teilt sich das Maggiatal in das Val Lavizzara und das Val Bavona. Auf einer Länge von zwölf Kilometern steigt das Val Bavona etwa 550 Meter. Der Talboden ist schmal und an beiden Seiten ragen karge Felswände steil in die Höhe. Je nach Lage und Jahreszeit dauert es lange, bis die ersten Sonnenstrahlen den Talboden erreichen. Überall verteilt liegen kreuz und quer, teils übereinander, haushohe Felsblöcke und Geröllhalden zeugen von Felsstürzen.

Das Leben im Tal war immer schon unwirtlich und hart. Hunger, Krankheiten und Naturkatastrophen erschwerten das Leben der Einwohnerinnen und Einwohner. Die Menschen betrieben eine Stufenwirtschaft und lebten den Sommer über mit ihrem Vieh in Wohnstätten und Ställen auf verschiedenen Höhen. Viele verließen das Val Bavona in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Richtung Bignasca.

Erst seit 1950 führt eine Straße durch das Tal. Etwa 2000 Personen bevölkern das Val Bavona im Sommer, im Winter ist es unbewohnt und für den Privatverkehr geschlossen. Einen Anschluss ans Stromnetz gibt es außer in San Carlo bis heute nicht. An diesem elektrizitätslosen Zustand des Tals wird sich auch in nächster Zeit nichts ändern. Viele Bewohnerinnen und Bewohner behelfen sich mit Generatoren oder Solaranlagen. Entlang der Bavona liegen zwölf Weiler, sogenannte Terre. Es sind dies Mondada, Fontana, Alnedo, Sabbione, Ritorto, Foroglio, Roseto, Fontanelada, Faèd, Bolla, Sonlerto und San Carlo. Dort, wo sie liegen, gab der Boden zumindest so viel her, um ein bisschen Gemüse oder Getreide anzubauen.

1983 wurde das Val Bavona ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler nationaler Bedeutung aufgenommen. Ein Zonenplan mit strengen Bau- und Nutzungskriterien schützt das Kulturerbe und wird von der 1990 gegründeten Fondazione Valle Bavona überwacht. Dadurch blieben dem Tal die kitschigen zu Ferienhäusern umgebauten Rustici mit Grillplatz und Gartenzwergen, wie sie im Tessin so häufig anzutreffen sind, erspart. Die Häuser sind aus Gneis und Granit mit Elementen aus Holz, dazwischen liegen immer wieder Trockenmauern. Die Ortsbilder sind einheitlich. Hoffentlich wird sich das Tal seinen wilden Charakter noch lange erhalten.

Foroglio

Bei diesem Weiler wird das Tal eine Spur breiter. Von der Bushaltestelle und dem Parkplatz her führt eine kleine Brücke über die Bavona. Und schon bist du mitten in diesem märchenhaften Vorzeigedorf mit seinen schmucken Häuschen. Etwa zwei Dutzend Rustici gruppieren sich um die kleine Kirche. Bei meinem Besuch Ende Oktober ist das Dorf fast menschenleer, aber auch im Hochsommer ist es aufgrund der abgeschiedenen Lage nicht allzu überlaufen.

Obwohl das Örtchen winzig ist, gibt es bei einem Rundgang viel zu entdecken, seien es die liebevoll dekorierten Vorgärten, Brunnen oder die Vorratsspeicher auf hölzernen Pfählen und den Mäuseplatten aus Granit, wie es sie auch im Wallis gibt. Beim Dorfeingang lockt das Grotto La Froda mit typischen Tessiner Spezialitäten. Das La Froda hat sich der Slow-Food-Philosophie verschrieben. Das bedeutet, dass man sich für eine nachhaltige und umweltfreundliche Lebensmittelproduktion einsetzt und die biologische Vielfalt fördert. Das La Froda ist während der Sommermonate geöffnet. Jetzt liegt es bereits im Winterschlaf.

An imposanten Schluchten und sprudelnden Wasserfällen mangelt es im Tessin wahrlich nicht. Einige von ihnen wie die Cascata del Salto in Maggia oder Wasserfall Piumogna bei Faido sind weiter über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt. Und doch ist kaum ein Wasserfall so spektakulär und pittoresk wie die Cascata della Froda (Foroglio Wasserfall). 110 Meter stürzt unweit des Dorfes der Fluss Calnègia mit lautem Tosen in die Tiefe. Für viele gilt dieser Wasserfall als der schönste der Schweiz. Die Kulisse macht ihn einzigartig.

Der Weg zum Wasserfall ist gut ausgeschildert. Er ist wohl keine 500 Meter lang, beinhaltet aber eine etwas steilere Passage, wo zur Unterstützung Ketten angebracht sind. Am Beginn des Weges weist ein Schild darauf hin, dass der Zugang zum Wasserfall nicht für alle geeignet ist. Die kurze Kraxelei lohnt sich und im Sommer kann die Gischt für eine willkommene Abkühlung sorgen. Immerhin hat bereits Leni Riefenstahl für ihren Film «Das blaue Licht» im Wasser der Cascata della Froda gebadet.

Der Wasserfall muss nicht der Endpunkt deiner Wanderung sein. Von hier aus kannst du eine eindrückliche Tour ins Calnègiatal unternehmen.

Sabbione und Fontana

Etwa eineinhalb Kilometer talabwärts erwartet dich mit Sabbione ein überaus fotogener Weiler mit einer imposanten «Splüi». Splüis sind Felsbauten, die sich an die geologischen Gegebenheiten anpassen. Unter riesigen Findlingen beherbergen sie Kellergewölbe, Unterstände, Vorratskammern, Lager oder sogar Wohnhäuser. Splüis sind immer einzigartige architektonische Leistungen. Hier in Sabbione erinnern sie mich irgendwie an die Häuser der Hobbits oder der Schlümpfe. Daneben gibt es im kleinen Dorf einige ursprüngliche Rustici, die teils wunderschön mit Blumen geschmückt sind.

Ein weiteres Highlight im Bavonatal ist Fontana. Die Ortschaft ist etwas größer und hat einen bezaubernden Ortskern mit einem Grotto und mehreren Ferienhäusern. Wie überall im Tal sind die Felswände ganz nah. Kühne Treppenanlagen führen von hier aus in luftige Höhen. Mit ihnen haben die Älpler einst einen Zugang zu den nahezu unerreichbare Almen, den sogenannten Hungeralpen (Alpe di Fame) geschaffen. Wenn du diese anstrengende Tour mit gut 1000 Höhenmetern in Angriff nehmen willst, solltest du schwindelfrei sein.

Wanderung auf dem Sentiero Cristallina nach Binasco

Auf der erste Etappe des Sentiero Cristallina, der Bignasco im Maggiatal mit Airolo im Leventinatal verbindet, kannst du von Bignasco nach San Carlo oder umgekehrt wandern. Zahlreiche Informationstafeln mit Erläuterungen zu Unterständen, Ziegenställen oder den hängenden Wiesen vermitteln viel Wissenswertes zum Tal und den Zeugnissen der historischen Alpwirtschaft.

Auf dem Weg passierst du zum Beispiel Höhlen, die als Stall für Ziegen und Schlafstätte für die Hirten verwendet wurden. Teilweise sind noch die Tränken darin erhalten. So wie jeder noch so kleine Platz unter den mächtigen Felsbrocken als Unterstand genutzt wurde, trotzte man den Prati pensili, die hängenden Wiesen, jedes noch so kleine Fleckchen fruchtbares Land ab. Auf Steinblöcken, die über Leitern oder Treppen erreichbar waren, wurde Heu geerntet oder Gemüse angebaut.

Die Wanderung von San Carlo nach Binasca führt in einem ständigen Auf und Ab oberhalb der Straße durch das Tal. Unzählige gewaltige Feldblöcke säumen den Weg. Viele von ihnen sind mit Moos bewachsen. Im Herbst liegen in diesem Zauberwald überall auch Kastanien.

Praktisch ist, dass du die Wanderung nach Bedarf abkürzen und in den verschiedenen Dörfern auf das Postauto umsteigen kannst. Der Fahrplan ist jedoch nicht besonders dicht.

Auf dem Schweizer Wander- und Outdoorblog OFF-THE-TRAIL findest du eine ausführliche Beschreibung der Wanderung mit Kindern.

Anschlussprogramm

Den Tag im Anschluss an unsere Wanderung verbringen wir bei fast noch sommerlichen Temperaturen mit Dolce far niente auf dem Lungolago di Ascona, der idyllischen Seepromenade.

Steinhäuser in Foroglio
Foroglio

Carola ist eine passionierte Teilzeitnomadin, verbindet Vollzeitberuf mit Reiselust. Sie ist der Kopf hinter Travellingcarola.

Seit 2016 schreibt sie authentische Reiseberichte über einzigartige Erlebnisse, gibt praktische Tipps und will andere inspirieren, die Welt zu entdecken.

4 Gedanken zu „Foroglio und das Val Bavona, Tal aus Stein und ohne Strom“

  1. Wow, liebe Carola, was für unglaubliche Fotos Du hier zeigst! Das sieht wirklich nicht nach dem 21. Jahrhundert aus. Ich kenne den unteren Teil des Maggiatals ein wenig von früheren Reisen und ich liebe diese idyllische Gegend, aber ich hatte keine Ahnung, was sich weiter oben in den Bergtälern für Schätze verstecken. Die eindrucksvollen Splüis finden sich hier in Portugal auch in einigen uralten Dörfern und sie haben tatsächlich etwas märchenhaftes an sich. Danke Dir für die tolle und unerwartete Inspiration! Jens

    Antworten
    • Hallo Jens

      Ja, das Val Bavona wirkt tatsächlich wie aus der Zeit gefallen. Das mit den Splüis in Portugal finde ich spannend. In welcher Gegend findet man diese? Aber da komme ich gerne auf dich zurück, wenn ich Fragen habe.

      Viele Grüße
      Carola

      Antworten
  2. Oh ja, da werden Erinnerungen wach! Toll beschrieben. Vor allem deine Fotos lassen die Wanderung wieder aufleben. Das Tal ist der Hammer. Wir fanden auch die kleinen Schluchten des Baches bevor er in den Wasserfall übergeht faszinierend.

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    • Lieber Stefan

      Oberhalb des Wasserfalls war ich leider nicht. Das wäre etwas für den Sommer. Ende Oktober/Anfang November war es doch schon recht einsam im Tal – aber wunderschön.

      Herzliche Grüße
      Carola

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